3 Dinge, die Expats vom asiatischen Straßenverkehr lernen können
Wer schon mal in Asien war, weiß wie es dort auf den Straßen aussieht: In engen Gassen knattern unzählige Mopeds dicht an dicht dahin, eine Fahrradrikscha bewegt sich im Schneckentempo mittendrin, am Rande schiebt jemand eine mobile Garküche, ein paar Meter weiter parkt ein Truck und lädt Waren ab und irgendwo zwischendrin fahren auch noch ein paar Autos. Es ist eng und (meistens) heiß. Es scheint, daß zwischen allen Vehikeln und Menschen nur Zentimeter Platz sind. Mopeds fahren kreuz und quer, der Garküchenmann schiebt seinen Wagen bei Rot über die Ampel. Fahrradfahrer schaukeln sorglos und ohne Schulterblick von einer Seitengasse auf die Hauptstraße und mischen sich in die zäh dahinfließende Menge. Ein Bus brettert dahin, hupt und fährt doch niemanden um.
Verkehrsregeln scheint es keine zu geben. Ziemlich chaotisch…
Ziemlich chaotisch, ja – aus deutscher Sicht. „Was, Du fährst HIER Auto????“, fragte mich unlängst eine Expatfreundin mit verständnislosem Kopfschütteln in Indonesien. Auf meinen Kommentar hin, dass die Indonesier doch auch Auto fahren und dass es daher doch machbar sein müsste, erntete ich leider nur ein erstauntes Lachen. Aber dieser Kommentar war nicht einfach so dahingesagt. Nein, für mich hat er einen tiefen Sinn:
Erstens glaube ich daran, dass jeder Mensch der Welt sich auch Fähigkeiten aneignen kann, die fremden Kulturkreisen entstammen – und seien es jene, die es braucht, um heil auf asiatischen Straßen zu fahren.
Zweitens bin ich überzeugt, dass Expats für ihr Einleben in eine fremde Kultur jede Menge von dem lernen können, was Asiaten dazu bringt, tagtäglich unversehrt durch den – aus deutscher Sicht – chaotischen Verkehr zu kommen. Denn so wie der asiatische Straßenverkehr funktioniert, funktioniert auch das Zusammenleben verschiedener Kulturen!
Klingt verwirrend? Ist es nicht. Hier sind drei, dem asiatischen Straßenverkehr angelehnte Tipps, die Expats das Leben in einer fremden Kultur leichter machen. …und das Fahren im asiatischen Verkehrsgewusel auch.
1. Erkenne, dass Deine Regeln eben nur Deine Regeln sind!
Machen wir uns nichts vor: Wir Deutschen sind international dafür bekannt, dass wir eine Vorliebe für Ordnung und Regeln haben. Der deutsche Straßenverkehr mit seinen an Waldwuchs erinnernden Straßenschildern, der jedem Kind bekannten StVO und dem dazugehörigen Bußgeldkatalog sind nur ein paar Beispiele dafür, dass wir es mit Regeln im Alltag ernst nehmen. Abgesehen von den Verkehrsregeln gibt es in jeder Kultur Verhaltensregeln für bestimmte Situationen. Wie z.B. wird jemand begrüßt, wie pünktlich muss ich sein oder wie spreche ich meinen Vorgesetzten an? Das alles ist durch kulturelle Normen und Konventionen geregelt. In einem anderen Land trifft man jedoch auf andere Regeln. Meist geben diese sich nicht gleich zu erkennen, ganz oft machen sie nicht mal Sinn für den frisch entsendeten Expat. Nicht wenige Expats neigen daher dazu, die fremde Kultur als „unlogisch“, „undurchschaubar“ oder eben „chaotisch“ zu bezeichnen und tun damit nichts anderes, als sie an ihren Regeln zu messen. Aber Deine Regeln sind eben auch nur Deine und nicht automatisch die Deines Gastlandes.
Sich das vor Augen zu halten, sich also selbst zu reflektieren, immer und immer wieder, ist für Expats unerlässlich.
Bevor man also einen neuen Bekannten mit einem kräftigen Handschlag begrüßt, sollte man kurz innehalten und sich fragen, ob Begrüßungen im Gastland auch so gehandhabt werden oder ob der muntere Handschlag anders bewertet werden könnte. Eine kritische Selbstreflexion ist der erste große Schritt zum kulturellen Lernen. Diese hilft auch im asiatischen Verkehr: Fährst Du „ordnungsgemäß“ auf der Hauptstraße und bestehst auf Vorfahrt, wirst Du spätestens an der übernächsten Seitenstraße auf ein von da herausfahrendes Fahrzeug stoßen. Denn dass Du Vorfahrt hast, ist nur Deine Regel und nicht notgedrungen die der anderen Verkehrsteilnehmer…
2. Lächle und handle aus, statt mit jemandem aneinander zu krachen!
Bleiben wir bei dem Vorfahrtsbeispiel: Was geschieht, wenn ein flinkes Moped aus einer Seitenstraße kurz vor Dir auf Deine Spur biegt? Beharrst Du auf Dein Vorfahrtsrecht, kracht es. Interessanterweise kracht es jedoch im asiatischen Straßenverkehr sehr, sehr selten, eine Tatsache, die Expats oft ins Grübeln bringt. Wie schaffen es also Asiaten, bei dem Verkehrschaos kaum Unfälle zu bauen? Der Grund dafür ist, dass sie im Verkehr auf kein Recht beharren. Sie handeln vielmehr jede kritische Situation aus und das tun sie gefühlt 50 Mal pro Minute. Wenn also ein Moped einem die Spur schneidet, so schaut man eben wo und wie man weiterfahren kann, ohne die neben einem Fahrenden anzustoßen. Die neben einem tun das Gleiche. Und so fließt der Verkehr in langsamen (max. 35 km/h) Tempo dahin und alle handeln ständig ihre Spur und ihren Weg aus. Daher ist es für Asiaten auch kein Problem, mit einem der Fahrtrichtung entgegen fahrenden Fahrrad/Moped/Auto klarzukommen. Ohne die gelassene Miene zu regen, handeln sie in Sekundenschnelle aus, wie man die Situation lösen kann und fahren weiter. Ohne andere anzustoßen.
Genauso ist es, wenn wir auf eine fremde Kultur treffen. Anstatt auf unseren Werten zu beharren und zu definieren, was in einer bestimmten Situation „richtig“ oder „falsch“ ist, ist es besser zu schauen, was in der Gastkultur als „richtig“ und „falsch“ gilt. Auf dieser Basis kann mit allen multikulturellen Beteiligten ausgehandelt werden, wie man in bestimmten Situation vorgeht.
Bevor man also ein Treffen im Gastland mit dem Drang, schnell und unverblümt auf den Punkt zu kommen, beginnt, könnte man auch kurz gemeinsam beratschlagen, wie man die Agenda für das kommende Gespräch gestaltet. Vielleicht spricht man erstmal über das Wetter oder die Familie oder die neuste Tupperware-Kollektion… Dabei vermeidet man nicht nur Konflikte. Man lernt auch die fremde Kultur besser kennen und bringt seinen kulturellen Gastgebern Respekt und Wertschätzung entgegen. Solch eine Einstellung verschafft einem nicht nur spannende Gespräche, sondern oft auch neue Freunde.
3. Fließe einfach mit!
Zurück zu den Regeln. Wenn ich Expats sagen höre, dass es im indonesischen Straßenverkehr keine Regeln zu geben scheint, antworte ich meist: „ Doch, gibt es! Es gibt eine allumfassende Regel und die heißt `Es fließt und alle fließen mit´!“. Sitzt Du in Jakartas Straßen auf einem Moped, so fließe einfach mit. Plane nicht im Detail, wie Du von A nach B kommst, nein, fahre einfach in der Masse der anderen Fahrzeuge mit.
Auch beim Einleben in eine neue Kultur ist es oft ratsam, einfach mit der Zeit und den Ereignissen mitzufließen, anstatt zu planen, wie man die ersten Monate bewältigen möchte.
In dieser Zeit widerfährt einem sowieso viel Unvorhergesehenes. Man erlebt „merkwürdige“ Ereignisse und trifft auf entweder „eigenartige“ oder „beeindruckende“ Menschen. All dies kann verwirrend sein und manchmal ärgert man sich, dass etwas nicht so gelaufen ist, wie man sich das vorgestellt hat. Wenn man sich aber diesen Begebenheiten öffnet und sie als wertvolle Erfahrungen verbucht, lernt man nicht nur auf authentische Weise eine neue Kultur und seine Menschen kennen. Nicht selten eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für den persönlichen Weg im fremden Land, von denen man vorher nicht mal zu träumen wagte. Zugegeben, es dauert einige Zeit, bis man als Nicht-Asiate im asiatischen Straßenverkehr klarkommt. Mit der Zeit allerdings öffnet sich der persönliche Horizont und man lernt, gemäß der lokalen Regeln, wie auch immer sie gestaltet sein mögen, durchs Land zu fahren.
Ganz ähnlich geht es Expats beim Einleben in eine neue Kultur: Mit einer gesunden Selbstreflexion, Offenheit gegenüber anderen kulturellen Konventionen und dem Mut, mit dem Lauf der Dinge „mitzufließen“, kann das Leben im Ausland die persönliche Entwicklung bereichern. Viel Glück dabei!
Über die Autorin:
Silke Irmscher ist studierte Kommunikationspsychologin und zertifizierte Interkulturelle Trainerin. Seit fast 15 Jahren lebt sie in Indonesien und hat in dieser Zeit oft das interkulturelle Leben sowie die täglichen Fahrten im asiatischen Straßenverkehr aus kulturphilosophischer Sicht betrachtet. Ihre Erkenntnisse teilt sie heute erstmals in ihrem Artikel mit ;). Wenn Silke nicht auf indonesischen Straßen unterwegs ist, berät sie über das Netzwerk Jogja InterKultur (www.jogja-interkultur.com) internationale Unternehmen und Organisationen- Im E-Coachingprogramm für ExpatPartner www.How-To-Create-My-Life-Abroad.com wirkt sie als Expertin für Kultur & Eingewöhnung mit.
Die Sache mit dem Straßenverkehr kenne ich nur zu gut aus eigener Erfahrung und kann diesem Artikel voll und ganz zustimmen!
Wir wohnen in Hong Kong und da geht es zwar vergleichsweise gesittet zu, aber dennnoch gelten hier auch ganz eigene „Spielregeln“. Ich glaube aber auch, dass man es sich als Westler nur schwer vorstellen kann, wenn man den Verkehr selbst noch nie erlebt hat.
Sonnige Grüße,
Kaja
Hallo Kaja,
Danke für Dein Feedback. Hong Kong klingt ja auch sehr spannend. Und ich glaube auch, dass man sich als Westler diesen Tumult auf den Strassen in Asien nur schwer vorstellen kann. Das Foto des Artikels stammt übrigens aus Vietnam und dort gehst Du einfach ganz langsam drauf los, mitten durch die Mofas durch. Wenn Du ihnen genug Zeit gibst Dich zu sehen und langsam voran schreitest, fahren alle einfach um Dich rum. Faszinierend sag ich Dir.
vlg nach Hong Kong, Julia